Neue historische Schichten: zwei sensible Sanierungen im Wiener Stadtkern
Wien, Austria
- Architetti
- P.GOOD Praschl-Goodarzi Architekten ZT GmbH
- Sede
- Bäckerstrasse 9 / Sonnenfelsgasse 15, 1010 Wien, Austria
- Anno
- 2019
- Cliente
- WISEG Wiener Substanzerhaltungsg.m.b.H. & Co KG
- Team
- Arch. DI Azita Praschl-Goodarzi, Arch. DI Martin Praschl, Arch. DI Waltraud Derntl, DI Daniel Friedeberg
Zwei gegenüberliegende Häuser, von außen ähnlich, doch von innen komplett unterschiedlich, wurden vom Büro P.GOOD Praschl Goodarzi Architekten ZT GmbH gleichzeitig saniert und ausgebaut. Das eine wurde zur stadtarchäologischen Arbeit mit historischen Schichten aus Jahrhunderten. Das andere ist ein nur scheinbar alter Wiederaufbau aus den 50er Jahren.
Im Auftrag der WISEG – Wiener Substanzerhaltungs-GmbH & Co KG wurden dabei zwischen Anfang 2018 und Ende 2019 insgesamt 15 Wohnungen renoviert und vier Wohnungen neu errichtet, und die Dachgeschosse in enger Absprache mit dem Bundesdenkmalamt ausgebaut.
Sonnenfelsgasse 15
Das Haus: Ein Konzentrat der Wiener Stadtgeschichte
Manchmal ist der Umbau eines Hauses nur ein Umbau. Manchmal ist ein Umbau eine Sonde in die Vergangenheit. Erst recht, wenn es um ein Objekt im mittelalterlichen Stadtkern geht. Die Sanierung des Hauses Sonnenfelsgasse 15 im Wiener Inneren Stadt ist so ein Fall.
Die frühesten Spuren des Baues lassen sich auf zwei mittelalterliche Häuser aus dem 12.Jahrhundert datieren. In den folgenden Jahrhunderten wurden die Häuser mehrfach verkauft, vererbt und dabei immer wieder adaptiert wurden, und wuchsen schließlich zu einem Haus mit einem zentralen Innenhof zusammen. Wohnen und Arbeiten gingen dabei immer unter demselben Dach Hand in Hand.
1498 erwarb es der Fleischhacker Sigmund Stainer, im 17. Jahrhundert war hier die Kaiserliche Buchdruckerei Cosmoverius untergebracht. 1808/09 wurde in größerem Maßstab umgebaut und aufgestockt, 1908 wurde das Haus an die Gemeinde Wien verkauft.
Im 2.Weltkrieg blieb es unbeschädigt, dafür wurden in den Jahren danach die Wohnungen neu aufgeteilt und die bestehenden Innenwände großteils abgebrochen. Von all diesen Phasen blieben Spuren, und so präsentiert sich das Haus im 21.Jahrhundert als Stein und Holz gewordenes Konzentrat Wiener Stadtgeschichte.
Nun erfolgte die nächste Metamorphose. Den von der WISEG – Wiener Substanzerhaltungs-GmbH & Co KG ausgeschriebenen Wettbewerb für die Sanierung des Hauses gewann das Büro P.GOOD Praschl Goodarzi Architekten ZT GmbH, das über reichliche Erfahrung im sensiblen Umgang mit Bausubstanz verweisen kann, von Gründerzeithäusern bis zur Wiener Werkbundsiedlung. „Es ist das älteste Haus, das wir bisher saniert haben,“ sagt Architekt Martin Praschl. Die Sanierung erfolgte in enger Absprache mit dem Bundesdenkmalamt (BDA), die Erfahrung der Architekten half dabei, von Anfang an ein Klima des Vertrauens zu etablieren.
Der Dachstuhl als historisches Möbel
Als die aufwändigste und besondere Aufgabe stellte sich schnell die Sanierung des Dachstuhls heraus. Dieser stammt, wie eine dendrochronologische Untersuchung ergab, aus der Zeit des Ausbaus von 1808/09 und war in gutem Zustand. Dieser einzigartige Zeitzeuge wurde beim Umbau erhalten, allerdings nicht mehr in seiner statischen Funktion. Stattdessen wurde eine neue Dachhaut über den Dachstuhl gelegt. Eine komplexe geometrische Tüftelei, da die Dachform aufgrund der verkrümmten und verzogenen Form des alten Dachstuhls nur mit dreidimensionaler Planung in den Griff zu bekommen war. Nach einer 3D-Laservermessung wurde die neue Dachkonstruktion sensibel um den alten Dachstuhl herumgeplant, über dem das neue Dach sozusagen „schwebt“. Ein wesentlicher Grund, die statische Belastung des alten Gebälks zu vermeiden war die Tatsache, dass dieses ansonsten hinter einer Brandschutzummantelung verschwunden wäre.
Im Zuge der Dachsanierung wurde das Holz sorgfältig konserviert. Die Balken wurden trockeneisgestrahlt, gebürstet und dezent geglättet, der archaische Charakter der rauen, axtgehackten Oberfläche wurde somit erhalten und kontrastiert mit den neuen Bauelementen. „Wir lieben Kontraste in der Architektur und die Mischung von Rauheit und Perfektion. Erst dadurch wird die Architektur lebendig,“ sagt Martin Praschl.
In den beiden Wohnungen im Dachgeschoss steht der alte Dachstuhl nun als „Möbel“ im Raum und verschneidet sich mit den neuen Trennwänden zu einer einzigartigen Raumgeometrie voller Überraschungen. „Wichtig dabei war uns, dass die Wohnräume benutzbar bleiben, denn eine Wohnung soll schließlich kein Museum sein,“ betont Azita Praschl-Goodarzi.
Die drei neuen Dachwohnungen sind, ebenso wie das gesamte Haus, höchst individuell. Die westliche Wohnung orientiert sich zum Hof und zur Sonnenfelsgasse und verfügt über eine eigene Dachterrasse. In der zur Schönlaterngasse gelegenen Wohnung wurden die Deckenbalken entfernt, um eine großzügige, helle Maisonettelösung zu ermöglichen. Die neuen großflächigen Dachfenster zur Straßenseite wurden im gesamten Dachbereich aus Denkmalschutzgründen nicht mit außenliegendem Sonnenschutz, sondern mit elektrochromem Glas ausgestattet.
Wohnen zwischen Gewölbe und Pawlatschen
Die Wohnungen im 1. und 2.Obergeschoss wurden teilweise umgebaut und saniert, teilweise blieben die Bestandsmieter im Haus. Hier ergab sich bei der Befundung die ganze Komplexität historischer Schichten, mit bis zu fünf verschiedenen Decken, vom Kreuzgewölbe über Holz, Dippelbaum, Meteordecken und Betondecken. Vor allem die Räume mit noch vorhandenen Gewölbedecken muten fast sakral an. Die mittelalterliche Dichte der Bebauung sorgt noch heute für eine besondere Wohnsituation, die ein Weniger an Tageslicht in den unteren Geschossen mit einem Plus an Atmosphäre und zentrale Lage aufwiegt. „Das Wohnen im mittelalterlichen Stadtkern mit seinen schmalen Freiräumen ist ein Sonderfall,“ sagt Martin Praschl. „Der Hof im Gebäude ist allerdings breiter als die Sonnenfelsgasse.“
Eine besondere Zusatzaufgabe: Beim Wohnungszuschnitt musste auf den Brandschutz Rücksicht genommen werden. Da die Schönlaterngasse zu eng für das Aufstellen einer Feuerwehrleiter ist, musste jede neu entstandene Wohnung zumindest mit einem Fenster zur Sonnenfelsgasse orientiert werden.
Ebenfalls restauriert wurden die Pawlatschen im Hof. Hier blieb die historische Metallkonstruktion erhalten, die Bauteile aus Holz wurden erneuert. Die unterschiedliche Ausgestaltung der Metallkonstruktion, die sukzessive über die Jahrhunderte entstand, bleibt auch nach der Sanierung deutlich ablesbar.
Viele historische Schichten offenbaren sich auch im Keller, der über die Jahrhunderte immer wieder umgebaut wurde. Hier wurde ein großer, hallenartiger Raum wieder freigelegt und wartet auf mögliche zukünftige Nutzungen.
Der Bauablauf: Eine Operation am Herzen der Stadt
Die außergewöhnliche Sanierung in mittelalterlicher Struktur mitten im Herz von Wien verlangte den Beteiligten alles ab, was die Baulogistik betraf. Die engen Gassen machten die Aufstellung eines Krans zur Millimeterarbeit und erlaubten keine Lagerfläche, der Baustellenverkehr war auf ein enges Zeitfenster begrenzt. Der erhaltene Dachstuhl musste während der Bauzeit von Anfang 2018 bis November 2019 geschützt werden und begrenzte das Einbringen von Baumaterialien von oben. Der Einbau des Liftkerns in den ehemaligen Sanitärtrakt neben dem Stiegenhaus geriet zur statischen Herausforderung und zum Kraftakt. Ein hochkomplexer Bauablauf, der nur durch genaue Vorausplanung erfolgreich absolviert wurde.
„Mich fasziniert die Vorstellung, dass an diesem Haus über Jahrhunderte gearbeitet wurde und diese Arbeit ihre Spuren hinterlassen hat,“ resümiert Martin Praschl. „Jede Zeit hat dabei auch ihre architektonischen Prinzipien und Ideale eingebracht. Wir sind stolz, der bewegten Geschichte dieses Hauses eine Schicht hinzufügen zu dürfen.“
Bäckerstrasse 9
Jeder Wiener kennt das Café Alt-Wien, doch kaum jemand weiß, dass das Gebäude, in dem es sich befindet, deutlich jünger ist, als es den Anschein hat. Das Haus zwischen Bäckerstrasse und Sonnenfelsgasse stammt komplett aus den 50er Jahren– inklusive Keller. Der Vorgängerbau aus dem Jahr 1559 war im 2.Weltkrieg komplett zerstört worden, nur das Portal zur Hofdurchfahrt und eine Marienfigur in der Fassade überlebten und wurden in den Neubau integriert, der sich in Geschosshöhen und Fassadengliederung am Vorgänger orientierte. Erst, wenn man das Haus betritt, wird dessen Alter offensichtlich. Die Stiegenhäuser mit ihrem Terrazzoboden und ihren grünen Geländern sprechen eindeutig die Sprache der 50er Jahre.
Die Sanierung und der Umbau durch P.GOOD Praschl Goodarzi Architekten ZT GmbH erfolgte im Auftrag der WISEG – Wiener Substanzerhaltungs-GmbH & Co KG mit entsprechender Sorgfalt, die die Einpassung des Nachkriegsbaus ins historische Umfeld respektierte und die äußere Erscheinung beibehielt. Die drei Straßenfassaden inklusive Marienstatue wurden restauriert, hofseitig wurde eine Wärmedämmung aufgebracht und Balkone ergänzt. Etwa ein Drittel des Dachgeschosses – der übrige Teil war bereits bewohnt – wurde erneuert und ausgebaut. Dabei entstand eine großzügige Dachwohnung mit Dachterrasse und großflächigen Fenstern, mit Blick über die Dachlandschaft der Wiener Innenstadt.
„Für uns ist dieses spezielle Projekt eine Ehre, weil uns mit dem Café Alt-Wien viele persönliche Geschichten verbinden,“ freuen sich die Architekten Azita Praschl-Goodarzi und Martin Praschl. „Selbstverständlich blieb das Café selbst bei dieser Revitalisierung unberührt“. Mit einer kleinen Ausnahme: Unter den Hackstock, auf dem die Schnitzel geklopft werden, wurde eine schallabsorbierende Matte eingelegt.
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