Erweiterung Gründerzentrum Werk 1.4
München, Germania
- Architetti
- Hild und K
- Sede
- Am Kartoffelgarten 14, 81967 München, Germania
- Anno
- 2023
- Team
- Ulrike Muckermann, Volker Goerz
In unmittelbarer Nähe zum Münchner Ostbahnhof hatte einst die Firma Pfanni ihren Standort. Seit mehreren Jahren erlebt das ehemalige Industriegelände seine Transformation zum vielfältigen Quartier für Arbeiten, Wohnen und Freizeit, dem sogenannten Werksviertel. Mit dem schrittweise vollzogenen Weiterbau eines ehemaligen Verwaltungs- und Laborgebäudes zum Gründerzentrum setzen Hild und K ihre erfolgreiche Planungstätigkeit innerhalb des Areals fort. Im Werk 1, wo einst die Keimzelle der Produktion lag, werden heute junge Unternehmen bei ihren ersten Schritten unterstützt, durch günstige Büroflächen, Coachings sowie Netzwerk- und Mentoringprogramme. Mit dem nun fertiggestellten, im Westen anschließenden Erweiterungsbau wurden nicht nur weitere Arbeitsräume geschaffen, in den beiden obersten Geschossen stehen den Gründerinnen und Gründern auch kleine Wohneinheiten mit Coliving-Bereichen zur Verfügung. Begrünte Dachterrassen laden zur Begegnung und zum Austausch ein.
Als Familienunternehmen entwickelt und verwaltet die OTEC GmbH das Areal. Wie die Bauherrnschaft selbst, so legten auch Hild und K Büropartner Dionys Ottl und sein Team großen Wert darauf, den Charakter des Ortes weiterzutragen, der konsequent modern in der Architektursprache der Fünfziger und frühen Sechziger Jahre gestaltet war. Auf historischen Schwarzweißaufnahmen springen markante Hell-Dunkel-Kontraste ins Auge. Sie waren ausschlaggebend vor allem für die Gestaltung der Fassade. Hellgelb glänzende Keramikfliesen kontrastieren mit mattbraunen Ziegeln. Große Fensterflächen mit messingfarbenen Metallprofilen entsprechen in der Detaillierung den filigranen Glasfassaden der Fünfziger Jahre. An den industriellen Charakter der Vorgängerbauten knüpfen bereichsweise Ausfachungen mit roh belassenen Oberflächen und Strukturgläsern an. Durch letztere gewinnen die teils raumhohen Verglasungen eine lebendige Materialität und Rhythmisierung und die Apartments in den Obergeschossen einen gewissen Sichtschutz. Im Blick von drinnen nach draußen stellt sich zudem ein interessanter Verfremdungseffekt ein. Der Begriff Bricolage trifft die Entwurfshaltung hinter dieser Collage im Bestand vorgefundener architektonischer Elemente sehr gut.
Auch innerhalb des Gebäudes bleibt der Geist des Ortes lebendig. Insbesondere die ebenerdige, doppelgeschossige Halle erweist der Vergangenheit ihre Reminiszenz. In ihrer Geometrie entspricht sie nahezu exakt der ehemals hier gelegenen Schlosserei des Pfanniwerks. Stahl und Strukturgläser geben dem Raum einen gewissen Werkstattcharakter. Die beiläufige Ästhetik gewisser Zweckbauten war ausschlaggebend auch für die Gestaltung der Betondecke, der ein sichtbares Schalungsmuster ihren besonderen Charakter verleiht.
Städtebaulich kommt der öffentlichen Passage mit angrenzenden Läden und Cafés eine herausragende Bedeutung für das neue Quartier zu. Als eine Art überdachter Stadtplatz stellt sie einen Begegnungsort und zugleich eine Wegeverbindung zwischen dem südöstlich des Neubaus entstehende Wohnviertel und den nordwestlich gelegenen Büros und Veranstaltungsorten her. Während der geschlossene Riegel von Neu- und Bestandsbauten den nötigen Lärmschutz gewährleistet, sorgt die Passage für Durchlässigkeit und verbindet die Bereiche von Wohnen, Arbeiten, Kultur und Freizeit zu einer lebendigen Einheit. Ein Gussasphaltestrich als Bodenbelag betont diesen Außenbezug. Dass zugleich innerhalb des Gebäudes kurze Wege erhalten bleiben, dafür sorgt ein offener Steg, der als Stahlkonstruktion die Büroetagen zu beiden Seiten der Passage verbindet.
Alle Geschosse sind als Stahlbetonskelettkonstruktion über einem einheitlichen Raster errichtet. Bei der Entwicklung einer flexibel nutzbaren Struktur ließen sich die Architekten unter anderem vom historischen Bautyp des Kontorhauses inspirieren, welcher für die Grundrissentwicklung eine große Flexibilität bietet. Entsprechend konnten dreizehn unterschiedliche Nutzungen integriert werden, von der Wertstoffsammelstelle über das Großraumbüro bis zum Einzelapartment. Die Gebäudestruktur wird es auch künftig erleichtern, Trennwände zu entfernen oder hinzuzufügen. Eine entsprechende Wandelbarkeit verlängert die Lebenszeit einer Immobilie erheblich und stellt so einen entscheidenden Faktor für ihre Nachhaltigkeit dar.
Wenn wir uns das Werk 1.4 als eine Person vorstellen wollen, dann am ehesten als eine begabte Vermittlerin. An den Grenzen zwischen Wohnbebauung und Vergnügungsviertel, zwischen Historie und Zukunft des Geländes ebenso wie zwischen unterschiedlichen Nutzungsanforderungen. Ein hohes Maß an Experimentierfreude und Pragmatik, die zur Bewältigung einer solchen Aufgabe nötig sind, war bestimmend für die Arbeit an diesem Projekt.
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