Kirchenburg Walldorf – Gestaltung des Innenraumes

Walldorf b. Meiningen, Deutschland
Foto © Osterwold°Schmidt
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Visualisierung © Osterwold°Schmidt
Architekten
Osterwold°Schmidt
Standort
Walldorf b. Meiningen, Deutschland
Jahr
2019

Kirchenburg Walldorf/Werra
... sanfte Annäherung an einen neuen, doch vertrauten Kirchenraum ...
Ein Brand hat 2012 die Kirche bis auf ihre Außenmauern total zerstört. Neben der Entscheidung des rekonstruierenden Wiederaufbaus wurde der Entschluss einer neuen Innenraumgestaltung gefaßt.

„Mit dem Ziel, der Gemeinde ihr identitätsstiftendes Bauwerk zurückzugeben“ (Zitat Auslobung), wurde ein prozesshafter Weg beschritten, der als Entwurfsprämisse das Verlorene als Chance begreift und das Verlustempfinden durch das Verlorene lindert.
Das Verlorene als Chance bedeutet Freiheit im Umgang mit dem ungekannten leeren Raum, teils ungeahnten Wandö nungen, Freiheit den sprichwörtlichen Freiraum auszuloten und zukunftsfähig, schön und auch in diesem Sinne nachhaltig zu gestalten.

Dem Verlust durch das Verlorene hingegen sollte wahrhaft begegnet werden, in dem nicht eine 1:1 Rekonstruktion das unwiederbringlich Zerstörte täuschend vernebelt, sondern ein assoziativer Raum gescha en wird, der erinnert, interpretiert, auch wiederbelebt und Vertrautes erkennbar macht in Wirkung und Raumprägung - sozusagen eine Ähnlichkeitsbeziehung herstellt.

Zwischen beiden Polen liegt der Möglichkeitsraum für die passende Gestalt des schönen neuen vertrauten Kirchenraumes. Ein Leitgedanke dazu war die Spurensuche und deren Übersetzung in das Neue.

Bestimmende Ausgangselemente sind das gewohnte Raumgefüge mit Chor und Schi , neu dagegen der leere Raum ohne Emporen, ohne Decke, aber mit vielfältigen teils wiederentdeckten Fensterö nungen und dem großzügigen Bogenportal zum Raum im Turmschaft. Diese Elemente stellen einen starken Ausgangspunkt der Raumwirkung durch Formen, Rhythmus und Anordnung dar. Sie sind vielfältig und eher kompositorisch als ordnend.

In dieser Akzeptanz erhielt der Innenraum den fehlenden oberen Raumabschluss mit einer neuen, leicht kielförmigen Holzdecke sowie einen vereinigenden Farb- und Materialkanon
- für eine Wirksamkeit und Strahlkraft der raumbestimmenden Komponenten
- als „Bühne“ für Raumszenarien di erenzierter religiöser Nutzungen (Gottesdienst, Taufe etc.) und liturgisch weniger strenger Nutzungen (Kinderkirchenburg, Konzerte u.ä.)
- als Basis für Ausstattung, Einrichtung und Kunst
Das Zusammenspiel der Farben und Materialien für Boden, Wand und Decke aus Eschenholz, Muschelkalk und Kalkputz unterstützt in seiner Helligkeit und Natürlichkeit die sakrale Raumwirkung im Gleichnis zum Licht und zur Reinheit (Gott ist Licht und in ihm ist keine Finsternis [1. Johannes 1,5]) und unterstützt gleichermaßen in seiner Schlichtheit die Reduktion der alltäglichen Reizflut.
> Die neue Zweiseitigkeit der Kirche mit Altarraum und Taufkapelle ist eine neue Raumqualität. Die Eigenheiten der Raumspezifika
- Altarraum = viele Fenster, lichtdurchflutet, „erleuchtet“,
- Taufkapelle = räumlich beschirmend, bergend, behütend, konzentriert, akzentuiert mit einem prägnanten Fenster
erö nen eine bipolare Ausgestaltung zwischen irisierender und gedämpfter Wirkung (hell zu dunkel, Farbverlauf, Lichtszenarien, Fenstermotive)
> Resultierend findet die Bestuhlung aus eigenen Kurzbänken flexible Zuordnung zu den Ereignissen
- maximale Bestuhlung in Ausrichtung zum Chor
- Bestuhlung der Taufkapelle
- mobiles Taufbecken und variable Möblierung für große Tau este, Gruppennutzungen etc.
- freier Raum für Kinderkirchenburg, Stehveranstaltungen o.ä.
> Im Vordergund stehen die Fenster, die in ihrem Formenreichtum und ihrer unregelmäßigen Anordnung raumprägend sind. Künstler Julian Plodek transformiert in der Neugestaltung das ganze Universum zwischen weltlichen und kirchlichen Bezügen sowie zwischen abstrakter und bildhafter Darstellung, eingebettet in die Naturdarstellung: im Norden als grafische, im Süden als malerische und zudem inhaltlich motivische Prägung. Schmale Stahlrahmenfenster mit Thermoverglasungen wurden so zu transluzenten „Leinwänden“.
> Prinzipalien wie Altar und Altarfigur werden unter dem Motiv „Kommt-her-zu-mir-alle“ unter Einbeziehung des ausbewahrten Brandholzes gestaltet.
> Unbedingte Ausstattungskomponenten wie Kanzel (Neuinterpretation in Standort und Form), Epitaphien (Restauration), Wappen finden ihren Platz.
> Die zweimanualige Orgel wird im Optimum zwischen akustischer und räumlicher Einordnung als besonderes raumgreifendes Objekt im Südwestwinkel spannungsvoll platziert.
> Der neue Fussboden spiegelt in seiner Oberfläche am direktesten das Konzept der Spurensuche wieder. Die Plattenverlegung aus Muschelkalk auf einem Heizlehmboden erfolgt in einer Art Mosaik, das die archäologischen Erkenntnisse über Jahrhunderte einbezieht.
> Licht und Beleuchtung runden mit Hängeleuchten im Kirchenschi und indirektem Licht für die Fenster sowie Kapelle und Altarraum das Raumgefüge ab.
Der Raum als vereinigendes Gefüge aus Wänden, Decke und Boden ist in diesem Sinne Gedächtnis und Erinnerung. Er ist fein, feierlich, sakral und gleichermaßen robust und funktional (Projektionstechnik und mediale Versorgung sind ebenso integriert).
Nach wie vor aber soll der Raum Rahmen für das Wesentliche sein: die Gemeinde als Glaubensgemeinschaft zu Gott.

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