Foto © Nikolai Benner
Bild © LOMA
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Sommerinsel, Bundesgartenschau Heilbronn

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Standort
Heilbronn, Deutschland
Jahr
2019

Die ondulierte Landschaft aus der digitalen Matrix

Auf der Sommerinsel in Heilbronn öffnet mit der Bundesgartenschau 2019 einer der ersten 3D-generierten und gebauten Landschaftsparks, der die Formen von Moränen, Dünen und Sandlandschaften vereint.

Auf der Sommerinsel in Heilbronn ist zur Bundesgartenschau 2019 einer der ersten digital erzeugten und gebauten Landschaftsparks geschaffen worden. Auf einem Areal von etwa 70 mal 500 Meter in der Form eines Parallelogramms fügen sich schräg an schräg organisch geformte Landschaftswellen aneinander, in denen sich die natürlichen Formen von Dünen, Moränen und die ephemeren Muster einer Sandlandschaft vereinen. Das Modell der 3D-generierten Landschaft, die nach den Regeln der Natur geformt wurde, entstand als Datenmatrix im Kasseler Architekturbüro LOMA am Arbeitsplatz des Landschaftsarchitekten und Stadtplaners Wolfgang Schück mit Hilfe seiner Partner Petra Brunnhofer, Architektin und Ilija Vukorep, der an der BTU Cottbus eine Professur für digitale Entwurfsmethoden innehat. Die ondulierte Landschaft der Sommerinsel ist zur Eröffnung der Buga 2019 am 17. April zugänglich.

3,5 ha experimentelle Landschaftsarchitektur

Wo heute das Buga-Gelände mit der Sommerinsel liegt, waren einst – zwischen dem kanalisierten Neckar und einem Seitenarm des Flusses – Hafenbecken sowie Industrie- und Bahnanlagen. Später wurden die Ha- fenbecken verfüllt, und der Ran- gierbahnhof verschwand. Indes wurden die Hafenbecken teilweise wieder geöffnet. Sie erhielten eine Verbindung zum Seitenarm des Neckars und füllten sich wieder mit Wasser. Die Sommerinsel selbst liegt zwischen zwei früheren Hafenbecken, die heute die Namen Stadtsee und Karlsee tragen. Dort soll, wenn die Buga zu Ende geht, Wohnbebauung mit aufgelockerten Blockrändern entstehen. Die aus dem Wettbewerbsgewinn hervorgegangene Gesamtstruktur der Bundesgartenschau stammt vom Berliner Landschaftsarchitektenbüro Sinai.

LOMA architecture landscape urbanism wurde 2016 mit Entwurf und Bau der Sommerinsel beauftragt.

Am Anfang war ein „Null-Ort“

Die Sommerinsel diente zur Lagerung von riesigen Erdmieten. Mit Baggern, Ladern und Kippern war der dort vom Neckar angeschwemmte stark tonige Alluvialboden, der eher zum Arrangement einer Mondlandschaft denn als Basis einer Gartenschau taugt, technisch zu großen Depots aneinandergereiht worden. Mit dem Traum von einer Sommerinsel hatte die Baustelle nichts gemein.

Wie generiert sich Landschaft?

Der sogenannte Null-Ort entpuppte sich bald als Inspirationsquelle, die technischen Erdaufschüttungen als Grundlage des Designs. Die Frage: „Wie generiert sich Landschaft selbst?“ wurde mit Bildern von sanft vom Gletscher geformten Moränenlandschaften des Voralpenlandes und Dünenformationen an der Nordsee diskutiert. Wie formen Wind und Wasser, schiebende Gletscher und schmelzendes Eis die Haut unserer Erde und ist es möglich die natürliche Wellenbildung im Boden durch generatives Design nach- zubilden? Wir beschäftigen uns mit diesen Generationsmöglichkeiten und mit Begrifflichkeiten wie „fluids“, „turbidite systems“ und „ripplemarks“. In frühen naturwissenschaftlichen Werken aus dem 17. Jahrhundert versuchten Kartographen die oberbayerische Moränenlandschaft nachzuzeichnen, um sie zu verstehen. Wie kommen wir der Natur als Landschaftsbildnerin auf die Schliche? Diese Frage hat uns gereizt. Wir selbst versuchten, die Linien eines Sandstrandes mit der Hand zu ziehen, „aber das sah aus, wie wenn man dem lieben Gott ins Handwerk pfuscht, weil man es eben nicht so kann wie er“.

3D-Software aus dem Bootsbau formt neue Landschaften

Da analoge Entwurfsmethoden keine adäquate Sprachannäherung an die Naturphänomene bringen konnten und die permanente Veränderung des Designprozesses nur schwerlich fortzuschreiben war, wurden die ersten Zeichnungen von Moränen, Dünen und Sandwellen mit Hilfe von Rhino 3D, Aufsatz Grasshopper, in den Computer eingegeben. Diese Software wussten zunächst Boots- und Yachtbauer zu nutzen, um dynamisch optimierte Bootskörper zu konstruieren. Dann entdeckte die Autoindustrie die Software, um ihren Fahrzeugen im Computer zu einer organischeren, fließenderen Form zu verhelfen. In der Landschaftsarchitektur wird dieses Werkzeug, vermutlich aus einem gewissen Grundkonservatismus heraus, selten genutzt. Dabei ist das Konzept, Landschaftsparks dem natürlichen Vorbild nachzuformen nicht neu. Zur Anlage des Parks von Wilhelmsthal bei Kassel, einer Rokoko-Anlage um 1750, sollen die Gärtner des Landgrafen zuvor in Oberbayern die Moränenlandschaft studiert haben, um die Hügellandschaft des Parks so gekonnt zu formen, wie es ihnen gelungen ist.

Ein Park in einer Datenwolke

Etwa 300 Jahre später haben wir auf aktuelle technische Hilfsmittel Zugriff, um in der zeitgemäßen Schaffung eines Landschaftsparks zu einem organischen Ergebnis zu gelangen. Nach Regeln, die die Natur vorgab, ließ das LOMA-Team den Computer die vorgefundene und auf dem Areal unterschiedlich verteilte Erde mit Hilfe der 3D-Software zu einer bis zu sechs Meter hohen Moränen-, Dünen- und Sandlandschaft verformen. Der Designprozess konnte jedoch nicht nach dem Prinzip des „freien Entwerfens“ weitergeführt werden, sondern war, in Abhängigkeit mit der Programmiersprache, streng regelbasiert. Diese anfänglich als Limitation (designing with constraints) empfundenen Vorgaben wurden im weiteren Planungs- und Bauprozess als nützlich und konsistent empfunden.
Am Ende hatte wir keinen zweidimensionalen Plan, sondern ein räumliches Netz mit Abermillionen Datenpunkten im virtuellen, dreidimensionalen Raum. Um diese Wirklichkeit werden zu lassen, erwies sich Prof. Wigbert Riehl, Lehrstuhlinhaber für Landschaftsarchitektur und Technik an der Universität Kassel, als kongenialer Partner. Schon beim Bau des Landschaftsparks Duisburg-Nord hatte sich Riehl mit seinen Ansätzen zur experimentellen Bauweise einen Namen gemacht, und schon 2007 hatten Riehl und Schück die parametrischen Methoden erstmals in Deutschland ins Studium der Landschaftsarchitektur eingeführt.

Die Sommerinsel, Landschaft für kleine und große Kinder

In den Baggern, die auf der Sommer- insel zum Einsatz kamen, waren Tabletts und GPS-Steuerungen installiert, und die Baggerführer bauten die virtuelle Landschaft realiter nach. Die Umsetzung weitläufiger, komplexer Landschaften auf diese Weise hat es im Landschaftsbau bisher technologisch bedingt noch nicht gegeben. Bagger im Landschaftsbau arbeiten, im Gegensatz zu Maschinen in der Landwirtschaft, noch stark analog und nach Augenmaß. Die Sommerinsel aber wurde von den Baggerfahrern aus der Datenmatrix heraus generiert und sie hatten Spaß am baukünstlerischen modellieren. Auf die ondulierte Landschaft wurden Rasentragschicht und Rollrasen aufgebracht, nun ähnelt sie dem Alpenvorland mit sandigen Passagen - ein seltsames Vexierbild von grünen Moränen und sandigen Dünen stellt sich ein. Neue Medien erzeugen eben neue Bilder und werfen neue Fragen auf, bringen aber auch neue Möglichkeiten. Das Feuer des „parametric design“ aber wird hoffentlich endgültig in der Welt der Landschaftsarchitektur angekommen sein.

Die Bundesgartenschau als Testfeld für neue technische Möglichkeiten

Derzeit sind Kettenbagger bereits in der Lage große komplexe, landschaftliche Formationen umzusetzen. Die Datensätze aus dem Entwurfsbüro werden in ein digitales Geländemodell überführt und vom Baggerführer via Bildschirmsteuerung umgesetzt. Wo aber Großgeräte nicht mehr den gewünschten Präzisionsgrad
in der Feinmodellierung konnten, wurde partiell analoge geführte Bagger zurückgegriffen. Augenmaß, Können und Sensitivität der Baggerführer stand im Wettstreit mit den digital gestützten Arbeitsmitteln. Gerade der GPS-gestützte, bauliche Feinschliff und die baukünstlerische Ausformulierung von Landschaftsbildern könnten für die Garten-und Landschaftsbaufirmen künftig einen Marktvorteil bedeuten. Als weitere Zukunftsvision wäre im Maschinenbau ein neuer Typ von Erdbaumaschinen möglich. Substrat- 3D-Drucker könnten künftig komplexe Geometrien aufschichten oder programmierbare Erdfräsen die am Rechner generierten Modulationen in die Topographie 1:1 einschreiben. Zur Pflege der Rasenwellen wurde von Firma KommTek ein ferngesteuerter Mähroboter mit Hybridantrieb entwickelt. Aufgrund der teilweise extremen Topographie arbeitet das leichte Mähwerk mit minimalem Bodendruck und über Raupenlaufwerke. Die Rasenwellen wurden von Firma Benz mit aus Neckarwasser gespeisten Versenk-Getrieberegnern; der Wechselflor mit neu entwickelten wurzelfesten Tropfleitungen versehen. Hitzeschäden des extrem trockenen Sommer 2018 konnten so vermieden werden. Erkenntnisse wurden auch für den Garten-und Landschaftsbau gewonnen: die Ausstattung mittlerer und kleiner Firmen mit GPS-unterstützten Erdbaugeräten wäre eine Aufgabe der Zukunft.

Wechselflor und „Wilde Borte“

Die Substrate des Wechselflors sind, weich geformt, in die Landschaft integriert und werden mit sandiger Körnung überzogen. Der Wechselflor zeigt eine Palette von trockenheitsverträglichen, artifiziellen Züchtungen und steht im Kontrast zu den Wildpflanzen aus ariden Gebieten. Der Besucher durchschreitet diesen wilden Vorhang aus Königskerzen und wehrhaften Disteln am Rand der Sommerinsel, welche mit den Kulturpflanzen des Wechselflors in Kontrast und Dialog treten sollen.

Eine begehbare Skulptur mit einem massiven Freiheitsgrad

Entstanden ist ein Landschaftspark, als begehbare Skulptur, der wie im Barock oder später im englischen Garten eine gebaute Inszenierung bietet, aber als Bühnenbild für die demokratische Zeit. Die Sommerinsel ist nicht hierarchisch ausgerichtet. Es gibt keinen Eingang oder Ausgang. Außer Moränen, Dünen und Sand gibt es flache Passagen und Hänge zum Aufsteigen, ein grünes Meer von Wellen, um sich zu sonnen und zu treffen. Es ist ein massiver Freiheitsgrad, den diese Landschaft zulässt und die Lebewesen zu ihrer individuellen Freiheit verführen soll.

Entwurf und Planung - LP 2-5: LOMA architecture landscape urbanism Brunnhofer Vukorep Schück, Kassel
Mitarbeiter: Sabrina Campe, Franziska Marquardt, Hannah Hagedorn
Pflanzplanung, Wechselfor: LOMA architecture landscape urbanism, Brunnhofer Vukorep Schück, Kassel
Ausschreibung und Objektüberwachung - LP 6-8: Riehl Bauermann + Partner Landschaftsarchitekten, Kassel
Mitarbeiter: Kerstin Barth, Jonas Otto Grafiken: LOMA architecture landscape urbanism
Ausführende Firma: Bietigheimer, Tamm
Mähroboter: Firma KommTek, Osterburken
Wassertechnik: Firma Benz, Göllheim/Pfalz
Faschinen: WeidenArt, Freising
Rollrasen: Juzeler, Stuttgart
Klimabäume: Baumschule LVE, Lorenz von Ehren, Hamburg Bernhard von Ehren, Kerstin Abicht
Geophyten: Firma Verver, Goch
Stauden: Ehrhardt Staudengärtnerei, Weisendorf
Wechselflor, Gärtnereien: Becker, Rheinbrohl | BluGeSa, Beetzsee | Funk, Bad Friedrichshall | Haase, Bad Kreuznach | Huben, Ladenburg | Kühne, Dresden | Leiensetter, Heilbronn | Welzel, Straupitz | Wirth-Zickelbein, Seevetal | Zürn, Möckmühl
Fotograf: Nikolai Benner

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