HERberge für Menschen auf der Flucht
Innsbruck, Austria
- Architects
- STUDIO LOIS
- Location
- Innsbruck, Austria
- Year
- 2015
Die Ordensgemeinschaft der Barmherzigen Schwestern stellt in einem der schönsten Stadtviertel von Innsbruck ein ehemaliges Internatsgebäude langfristig als Unterkunft für Menschen auf der Flucht zur Verfügung. Sie setzt gemäß Ihrem Glaubensgrundsatz das Wort in die Tat um.
Am Areal ihres eigenen Ordenshauses wurde 131 Menschen eine erste Unterkunft gebaut, die Menschen auf der Flucht sind also ihre unmittelbaren Nachbarn
. Bis zur Entscheidung über gestellte Asylanträge dürfen Flüchtlinge in Österreich nicht erwerbstätig sein. Während dieser „Wartezeit“, welche bis zu 4 Jahren und länger dauern kann, ist ein Bleiben in dieser HERberge angedacht. In dieser Zeit werden die Menschen durch die Flüchtlingskoordination des Landes Tirol betreut. Die ca. 100 Ordensschwestern selbst sind durchschnittlich bereits 80 Jahre und können daher die Betreuung (zum Leidwesen so mancher Schwester) nicht mehr selbst durchführen.
VORHANDENE MITTEL BEST MÖGLICHST NUTZEN
Das Mädcheninernat aus den 60er Jahren wurde generalsaniert und ein Zubau mit Treppenhaus und weiterer Wohnmöglichkeit angebaut. Der alten, kasernenartigen Fassade wurde mittels einer spielerischen Auflockerung der Fensteröffnungen und Balkonen deren Strenge genommen.
Auf fünf Stockwerken sind nun Wohngemeinschaften von je 25-27 Personen. Jede Wohngemeinschaft teilt sich eine Küche und bis auf eine Zimmereinheit auch die Sanitärräume. Herzstück jeder Wohngemeinschaft ist das Wohnzimmer in der Geschossmitte. Zudem sind in jedem Stockwerk verschiedene Allgemeinräume angeordnet, wie z.B. Kinderspielraum, Fitnessraum, Lernraum oder Nähzimmer. Das gesamte Gebäude ist barrierefrei benutzbar.
Um mit einem bescheidenen Budget möglichst viel an Baumaßnahmen treffen zu können, wurde bei den Industrie- und Handwerksbetrieben nach Produktalternativen angefragt. So konnten Böden, Leuchten, Plattenmaterial, Dämmstoffe, Fenster usw. aus Sonderproduktionen und Auslaufmodellen günstig erworben werden. Manche Firmen unterstützten das Projekt mittels Materialspenden. So wurden beispielsweise von einem lokalen Farbenhersteller alle Farbprodukte kostenlos zur Verfügung gestellt. Es mußte nur die Arbeitsleistung bezahlt werden, diese wäre bei weißen Wänden dieselbe gewesen. Die Bewohnerzimmer wurden in Blau und Gelb gestrichen, Farben, welche auf das Unterbewusstsein beruhigend und aufheiternd wirkend. Gemeinschaftsräume wurden in Grün- und Violettönen gehalten. Einerseits um Kreativitätit zu fördern, andererseits auch um das Möbelsammelsurium in ein einheitliches Bild zu fassen.
Für uns als Architekten war es ein „anderes“ Arbeiten. Ausführungsangaben basierten nicht auf gestalterischen Wünsche, sondern waren vielmehr das Kombinieren und Reagieren auf günstig verfügbare Ressourcen.
WOHNEN, BEGEGNUNG UND KOMMUNIKATION
Der Grundraster des bestehenden Internatsgebäudes war vorhanden und gab so die Zimmergrößen vor. Prinzipiell sind Zimmer für 3-Personen konzipiert. Sollte ein Familienverband diese Größe überschreiten, so kann mittels einer Verbindungstür das Nachbarzimmer als ein weiteres Zimmer angekoppelt werden. Im neuen Anbau sind 4-Personenzimmer mit Balkon situiert. Der bestehende Gang mit parallel verlaufenden Wänden vermittelte einen nicht zeitgemäßen Anstaltscharakter. In der Gangmitte wurde aufgrunddessen die alte Wand an einer Seite aufgebrochen und mittels einer Kunststoffverglasung und Schiebetüren aufgelockert. So entsteht Raum zum Verweilen für ein Gespräch, ohne dass Intimität beim Passieren von Mitbewohnern gestört wird. Die Wohnzimmer und Gemeinschaftsräume wurden bewusst mit Kunststoffverglasungen und Schiebeelementen, akustisch nicht sehr wirksam vom Gang getrennt: die „Versuchung“ einer Funktionsänderung durch den ständigen Bedarf an Mehrbetten ist gegeben. Die Qualität des Lebens in der Wohngemeinschaft setzt sich aber im grundlegend aus der Vielfalt der Lebensräume zusammen. Aus der Überzeugung, dass zur notwendigen „Unterbringung“ Räume für das gemeinsame Miteinander wie in einem privaten Familienverband wichtig sind, wurde auf eine Mehrbelegung verzichtet.
GESCHENKT, SCHNÄPPCHEN, GEFUNDEN
Die Wohnzimmer in den Stockwerken wurden fast ausschliesslich mit Gebrauchtmöbeln ausgestattet. Durch Dachbodenstöbern am Ordensareal, Wohnungsauflösungen, Schnäppchen bei Altwarenhändlern und vielen Geschenken wurde versucht, eine wie selbstverständlich gewachsene, gemütliche Atmosphäre zu erzeugen.
DER MEHRWERT VON HILFE UND GESPENDETER ZEIT
Die Kosten für die Umbaumaßnahmen des Gebäudes wurden zunächst von den Barmherzigen Schwestern vorgestreckt und sollen sich über eine Vermietung an die Landesregierung im Zeitraum von 25 Jahren zurückzahlen. Die gesamte Innenausstattung, eigentlich der Part der zukünftigen Mieter, konnte allerdings nur über ein Bausteinsponsoring realisiert werden.
Erst wurde im unmittelbaren Umfeld nach Unterstützern gesucht. Viele am Bau beteiligte Firmen, Privatpersonen, Diözöse und Caritas ermöglichten es durch Sponsoring Materialien für die Zimmereinrichtung zu erwerben. Mit jeweils 1.700,- Euro wurden die Einrichtungsteile für das zukünftige Wohnen von 3 Personen (= 1 Zimmer) gekauft. Die Möbel für die Bewohnerzimmer wurden so konzipiert und von einem heimischen Tischler zugeschnitten, daß diese im Selbstbausystem vom geschickten „Otto-Normalverbraucher“ zusammengebaut werden konnten.
Nach diesem Prinzip entstanden Schränke, Bänke und Tische. Vorhänge wurden von Freiwilligen genäht, nur Betten, Sofas und Stühle als „Fertigprodukt“ gekauft (und diese großteils wiederum zu Sonderpreisen).
Nach einem Aufruf durch Pfarren und Medien waren an einem Wochenende über 200 freiwillige Helfer auf der Baustelle am Werken. Quer durch soziale Schichten und Altersklassen wurde geschleppt, zusammengebaut, gebohrt und geputzt. Pensionisten, Schüler, Studenten, Familien und die Ordensfrauen selbst legten zwei Tage lang Hand an und stellten ihre Zeit und Arbeitskraft zur Verfügung. Auch junge Männer, sebst derzeit im Asylstatus waren an der Arbeitsaktion mit Freude dabei.
Durch das Schenken von Arbeitskraft und Zeit wurde der HERberge die oberste, nutzbare und spürbare Gebäudeschicht gegeben . Ein Wohnumfeld, welches ein qualitätsvolles Leben in einem für die Bewohner schwierigen Lebensabschnitt zulässt.
Dieser letzte und einigartige Akt im Baugeschehen machte die HERberge neben ihrem wesentlichen Zweck zu einem wunderschönen Beispiel für soziales Miteinander und Nebeneinander.
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