Die Bedeutung der Sinne in der Architektur wird bei keiner anderen Bautypologie so offensichtlich wie bei Krankenhäusern. Denn kranke Menschen sind besonders sensibel, sie haben feinere Antennen als Gesunde. Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen verändern sich unter Stress; und dieser ist bei Genesungsprozessen kontraproduktiv. Doch auch das Krankenhauspersonal gehört zu einer vulnerablen Gruppe, die extremen Stresssituationen bei der Arbeit ausgesetzt ist. Diese Erfahrungen nachzuempfinden, ist neben den baulichen und ökonomischen Vorgaben eine der großen Herausforderung beim Entwerfen von Gesundheitsbauten.
Die Einsicht, dass gut gestaltete Räume den Heilungsprozess begünstigen können, ist nicht neu. Spitäler sind stets auch Spiegel gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Entwicklungen, das zeigt auch die Geschichte des Bautyps Krankenhaus. Allerdings führten nicht zuletzt die enormen Fortschritte der Medizin zu einem rein funktionalistischen Verständnis dieser Architekturtypologie: Mit zunehmender Komplexität wurden Krankenhäuser immer mehr zu sterilen Heilungsmaschinen. Genau dort liegt das Problem. Wenn bauliche Normen und ökonomische Zwänge zu den einzigen Leitlinien für den Bau von Krankenhäusern mutieren, dann drohen darunter die Bedürfnisse kranker und mit Kranken arbeitenden Menschen zu leiden. Dann machen diese Häuser krank, statt zu heilen. Damit das Krankenhaus nicht als krankes Haus erlebt wird, sondern seine Rolle als Gesundheitseinrichtung auch in Zukunft adäquat wahrnehmen kann, braucht es neue Ansätze. Diese müssen sich wieder vermehrt an den Menschen ausrichten: an denjenigen, die nach Heilung suchen, und an jenen, die in Gesundheitszentren arbeiten.
Das Wissen um die Wirkung der Umgebung auf Menschen – und dazu gehört auf die spezifische Wahrnehmung Kranker – ist vorhanden. Das belegen Forschungsmethoden wie das aus den USA stammende »evidence-based design«. Was es braucht, ist eine architektonische Umsetzung dieser Erkenntnisse – eine »Healing Architecture« eben. Die vier folgenden neueren Beispiele aus Europa zeigen, dass sich die Gesundheitsarchitektur im Umbruch befindet. Sie liefern zudem wichtige Impulse, was die Entwicklung neuer Modelle betrifft.
Das »Hospital Nova« von JKMM Architects ist das erste vollständig neu gebaute Spital in Finnland seit den 1970er-Jahren. Das Projekt vereint die klinischen Anforderungen eines innovativen Krankenhauses der nächsten Generation mit einem intuitiven, von der finnischen Natur inspirierten Design. Das Konzept basiert auf einer Aufteilung in vier Gebäudetypologien. Die Architekten verstehen das Krankenhaus als kleine Stadt und betonen damit auch den permanenten Wandel, dem diese Gebäudetypologie unterworfen ist. Das ist nicht zuletzt deswegen so, weil sich auch das Gesundheitswesen rasant verändert.
In diese Richtung wies auch die filmische Installation »Hospital of the Future«, die das niederländische Architekturbüro OMA als Folge der Coronapandemie an der 17. Architekturbiennale in Venedig zeigte. AMO, das Think Tank des Büros, machte in diesem Zusammenhang deutlich, dass das Krankenhaus der Zukunft als ein modulares und sich an aktuelle Bedürfnisse anpassendes System verstanden werden muss. Von diesem neuen Verständnis zeugt auch die Organisation des »Hospital Nova«. Während die durchgängig aktiven Funktionen wie Notfallchirurgie in einem kompakten Teil des Krankenhauses untergebracht sind, sind die Räumlichkeiten für die ambulanten Konsultationen wie eine »Health Shopping Mall« konzipiert. Die 360 Sprechzimmer sind um eine mittlere Halle gruppiert, was auch die Orientierung im Bau erleichtert. Die Patient*innen können zudem für die unterschiedlichen Konsultationen im selben Raum bleiben und müssen nicht von einem Teil des Hauses in den anderen wechseln.
Die hotelartige Atmosphäre der Krankenzimmer strahlt etwas Freundliches aus und vermittelt den Patient*innen und ihren Angehörigen ein Gefühl der Geborgenheit. Als Inspiration für die Innenarchitektur stand die Natur Patin. So belegen viele Studien die heilende Wirkung von Natur, die sich schon nur durch einen Blick aus dem Fenster einstellen kann. Teemu Kurkela, Gründungspartner von JKMM und leitender Architekt von »Hospital Nova«, fasst das Projekt wie folgt zusammen: »Wir hatten gemeinsam mit dem Krankenhaus die Vision, ein finnisches Krankenhaus der Zukunft zu schaffen. Als Außenseiter in der Krankenhausplanung fanden wir es spannend, neue konzeptionelle, funktionelle und technische Innovationen zu entwickeln. Gleichzeitig wollten wir eine Architektur, die den Patienten in den Mittelpunkt stellt. Die finnische Natur als Hauptthema der Gestaltung hat uns geholfen, einladende und menschliche Räume zu schaffen.« Trotz der Größe des Gebäudes war oberstes Ziel, eine heilende Umgebung aufzubauen.
Dieses Credo verfolgen auch die »Maggie’s Centres«, die von Maggie Keswick Jencks ins Leben gerufen wurden. Als schwerkranke Krebspatientin erfuhr sie am eigenen Leibe, was es heißt, sich von einem Bau abgewiesen zu fühlen. Das wollte sie ändern. 1996, kurz nach ihrem Tod, wurde das erste »Maggie’s Centre« in einem ehemaligen Stall in Edinburg eröffnet. Heute gibt es – auch dank dem Einsatz von Maggies Mann, dem amerikanischen Architekturkritiker Charles Jencks (1939 –2019) – dreißig Zentren, die sich hauptsächlich in Großbritannien befinden, aber auch in Barcelona, Hongkong oder Tokio. Alle Beauftragten, darunter auch Größen wie Zaha Hadid oder Frank Gehry, erhalten dasselbe Briefing: Wichtig ist die Verbindung zur heilenden Natur. Entstehen sollen einladende Orte, an denen Patient*innen und deren Angehörige kostenlos Beratung einholen können.
Für den Entwurf von »Maggie’s« in Leeds (Yorkshire) zeichnet das Londoner Büro Heatherwick Studio verantwortlich. Mitten in einem Spitalbautenkomplex gelegen, war das Bauland eine der wenigen grünen Flächen auf dem Areal. Das Büro beschloss, diesen Aspekt zu betonen und die Architektur selbst als Pflanze zu lesen. Auf dem abschüssigen Gelände entwarf Heatherwick Studio den Bau als eine Gruppe von drei an Bäume erinnernden Gebäudeteilen. Ausgehend von Maggies Überzeugung, dass gutes Design den Menschen helfen kann, sich besser zu fühlen, wurden für den Bau natürliche Materialien und ökologische Fertigungstechniken verwendet. Die Gebäudestruktur besteht aus einem vorgefertigten Fichtenholzsystem. Poröse Materialien wie Kalkputz tragen dazu bei, die Luftfeuchtigkeit im Inneren des natürlich belüfteten Gebäudes aufrechtzuerhalten. Die hellen und wohnlich gestalteten Räume laden zum Verweilen ein.
Licht und Komfort prägen auch den Entwurf der Waldkliniken Eisenberg. Die Architektur ist eine Zusammenarbeit zwischen Matteo Thun und dem Architekturbüro Telluride Architektur (ehemals HDR). Das runde Gebäude des orthopädischen Zentrums strahlt schon nur über die großzügige Verwendung des Materials Holz viel Wärme aus. Das Haus mit 128 Krankenzimmern stellt die temporären Bewohner*innen und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt. Die Gestaltung der Innenräume und der Architektur verbindet die Ästhetik von Hotelprojekten mit der des Gesundheitswesens. Dass der Geschäftsführer und Initiator der Waldkliniken David-Ruben Thies selbst ausgebildeter Pfleger ist, beweist, wie wichtig die Sicht der Nutzer*innen für das Implementieren von heilender Architektur ist.
Auch das »AZ Zeno« im belgischen Knokke-Heist hat sich dem Motto heilende Architektur verschrieben. Darauf deutet schon nur die verspielte und auf René Magrittes Schriftzug »Ceci n’est pas une pipe« Bezug nehmende Überschrift auf der Website des Architekturbüros B2Ai: »Ceci n’est pas un hôpital (but a healing environment)«. Auch formal ließen sich die Architekten vom bekannten belgischen Künstler inspirieren. Der Bau scheint über dem Erdboden zu schweben und vermittelt das Gefühl von Leichtigkeit sowie einen scheinbar nahtlosen Übergang zwischen Außen- und Innenraum. Das Verschränken von Pflegeeinrichtungen und öffentlichen Räumen bricht mit der gängigen Spitalarchitektur, die auf einer Trennung zwischen Kranken und Gesunden gründet. Der Bau ist nicht nur sozial nachhaltig, sondern auch aus ökologischer Sicht beispielhaft. Das multidisziplinäre Team bemühte sich überdies um eine optimale Einbettung in die Landschaft und stellte damit sicher, dass das Krankenhaus als »lebendige Architektur« wahrgenommen wird, so ein Statement des Büros.
Die vier Bauten sind Best-Practice-Beispiele, die mögliche Lösungsansätze für die Gesundheitsarchitektur der Zukunft vorführen. Die Entwürfe orientieren sich primär am Menschen als Maßstab: an seinem Körper, an seinen Sinnesempfindungen und an seinen geistigen Kräften. Wenn sie diese Variablen berücksichtigt, kann Architektur Teil des Heilungsprozesses werden.
Die vier Bauten sind Best-Practice-Beispiele, die mögliche Lösungsansätze für die Gesundheitsarchitektur der Zukunft vorführen. Die Entwürfe orientieren sich primär am Menschen als Maßstab: an seinem Körper, an seinen Sinnesempfindungen und an seinen geistigen Kräften. Wenn sie diese Variablen berücksichtigt, kann Architektur Teil des Heilungsprozesses werden.
Dieser Artikel erscheint im Rahmen des Themenspecials »Healing Architecture«. Darin diskutieren wir mit wichtigen nationalen und internationalen Fachleuten darüber, mit welchen Kriterien in Gesundheitsbauten eine hohe Aufenthaltsqualität geschaffen werden kann. Zudem stellen wir Gesundheitsbauten vor, in denen diesem Thema bereits ein hoher Stellenwert beigemessen wird.
Für den ersten Beitrag der Reihe haben wir mit der Innenarchitektin Sylvia Leydecker, dem Architekten Prof. Linus Hofrichter und dem Wirtschaftsfachmann Prof. Dr. Boris Augurzky drei wichtige Beteiligte versammelt, die regelmäßig mit dem Thema Krankenhausplanung und den wirtschaftlichen Aspekten in diesem Bereich konfrontiert sind. zum Interview