Dass beim Thema Krankenhaus der Mensch, seine Gesundheit und ganz allgemein sein Wohlbefinden im Zentrum stehen, klingt zunächst selbstverständlich. Allerdings wird dabei schnell vergessen, dass nicht nur die Qualität der medizinischen Betreuung einen Einfluss auf den Genesungsprozess hat. Weil kranke Menschen besonders sensibel und verletzlich sind, spielen Räume und ihre Atmosphäre dabei eine zentrale Rolle. Dem Verhältnis zwischen Körper und Raum kommt speziell bei psychischen Erkrankungen und in psychiatrischen Einrichtungen eine große Bedeutung zu. Das Entwerfen von solchen Räumen ist für Architekturschaffende eine besondere Herausforderung; auch die Gestaltung der Innenräume muss auf die besonderen Bedürfnisse der Erkrankten eingehen.
In konkretem Fall sah sich die Innenarchitektin Sylvia Leydecker mit einem denkmalgeschützten Schloss bei Erftstadt konfrontiert. Das Projekt erforderte in mehrfacher Hinsicht einen feinfühligen Umgang mit der Bausubstanz. Das Schloss Gracht ist seit 2019 Sitz einer privaten Akutklinik für psychodynamische Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. »Der Investor wünschte sich attraktive Räume, welche die Balance zwischen alt und neu halten, aber auch die angebotene Präsenztherapie unterstützen sollte. Bei der Umsetzung ließ er mir große Freiheit und vertraute auf meine Kompetenz«, sagt Leydecker im Gespräch.
Sie beschloss, die architektonischen Besonderheiten des mittelalterlichen Bauwerks in ihr Konzept zu integrieren. Die Idee des Schutzortes ist der Vergangenheit des Gebäudes als Burganlage gleichsam eingeschrieben. Allein dieser historische Hintergrund sowie die besondere Lage mitten in der Natur wirke emotional stabilisierend, glaubt Leydecker.
Beim Entwickeln ihres Einrichtungs- und Sanierungskonzeptes konnte sie auf ihre langjährige Erfahrung im Healthcare Bereich zurückgreifen. In ihrer Arbeit geht die Innenarchitektin stets von den spezifischen Rahmenbedingungen aus. Zum einen berücksichtigt sie – bei diesem Projekt auch aus Denkmalschutz-Gründen – die Geschichte und Typologie des Gebäudes, zum anderen richtet sie beim Entwerfen die Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse des Betreibers und damit auch auf diejenigen der Patientinnen und Patienten.
Diese sollen sich während ihres Klinikaufenthaltes in erster Linie geborgen fühlen; Ziel sei das Schaffen eines Healing Environments. Leydecker spricht in diesem Zusammenhang vom Entwerfen als Umarmung. Ein Kollege habe ihre Arbeitsweise mit der Struktur eines Blumenkohls verglichen, erzählt sie. Man müsse viele einzelne Aspekte auf dem Radar haben und zugleich den Blick für das Gesamte nicht verlieren, fasst sie ihr Vorgehen zusammen.
Den gestalterischen Spielraum seitens der Bauherrschaft nutzte sie etwa, um die Grandezza der geschichtsträchtigen Räume im Schloss in Szene zu setzen, ohne dabei den Aspekt der Nestwärme zu vernachlässigen. Die Innenarchitektin kreierte in den hallenartigen, gemeinschaftlich genutzten Räumlichkeiten mehrere Sitzinseln, wobei sie besonderen Wert auf das gediegene und moderne Design der Teppiche und Möbelstücke legte.
Die hohe Qualität und die angenehme Haptik der Materialien ist kein überflüssiger Luxus, sondern sei »ein Fest für die Sinne«, wie sie sagt. Das harmonische Zusammenspiel von Texturen, Materialien, Farben und Formen unterstreicht die Idee eines holistischen Ansatzes. Immer mehr setzt sich in der Gesundheitsarchitektur die Einsicht durch, dass Räume der besonders empfindlichen Wahrnehmung erkrankter Menschen Rechnung tragen sollten.
So haben Studien im Bereich evidenzbasiertes Design die zentrale Rolle des circadianen Rhythmus für das menschliche Wohlbefinden nachgewiesen. Da man in den Patientenzimmern keine Veränderungen an der Größe der Fenster vornehmen durfte, kompensierte Leydecker das fehlende Tageslicht durch Kunstlicht, das man auf den circadianen Rhythmus abstimmen kann. Die Patientenzimmer funktionieren wie schützende Kokons, in die man sich zurückziehen kann. Die Farbtöne sind gedämpft, der Boden hat einen Teppich und die Möblierung ist schlicht, mit wenigen akzentuierenden Details.
Im Gegensatz dazu wirkt die Einrichtung in den größeren Gemeinschaftsräumen gewagter. Die unterschiedlichen emotionalen Befindlichkeiten sollen sich auch in der ausgewogenen Mischung von räumlichen Stimmungen und differenzierten Aufenthaltsmöglichkeiten der Klinik widerspiegeln, glaubt sie. Genauso wichtig sei die richtige Kombination von ruhiger Optik aus der Ferne und überraschender Wirkung aus nächster Nähe. Aspekte wie Blickrichtung und Wegführung sind ebenfalls entscheidend, wenn es darum geht, Geborgenheit zu vermitteln. Leydecker weiß, wie man unangenehme Empfindungen innenarchitektonisch abfangen kann.
Auf ihre Vorbilder angesprochen, zeigt sich die Bandbreite ihrer Inspirationsquellen. Wobei sie sich explizit nicht auf klassische Klinikmodelle bezieht. Denn gerade ältere psychiatrische Einrichtungen sind negativ befrachtet und stellen meist auch architektonisch betrachtet keine gültigen Referenzen dar. Die Innenarchitektin schöpfte aus ihrem großen Erfahrungsschatz und ließ sich durch gute zeitgenössische Beispiele von Krankenhäusern auf der ganzen Welt anregen. Ein Hotelaufenthalt in London brachte sie auf die Idee, auf einen Tresen beim Empfang zu verzichten und stattdessen auf Tablets zu setzen. Das sei auch im Sinne der Präsenztherapie. Leydecker betont allerdings, dass Kliniken keine Hotels seien.
In Bezug auf den Umgang mit dem historischen Kontext inspirierte sie das japanische Konzept des Wabi Sabi, das Patina als integralen Teil von Schönheit versteht. Die psychiatrische Klinik im Schloss Gracht ist der beste Beweis dafür, wie man die Ansprüche des Gesundheitswesens mit hoher Aufenthaltsqualität verbinden kann. Dass das Projekt mit Preisen und Auszeichnungen regelrecht überhäuft wurde, spricht für sich.