2016 hat die Chamer Bevölkerung ihre Zustimmung zur Bauordnung, zum Zonenplan und zum Bebauungsplan für das Papieri-Areal gegeben. Damit war der Weg frei für die Umwandlung der einstigen Industrieanlage in ein durchmischtes Stadtquartier. Was ist seither geschehen, Herr Aebischer?
Zum Jahreswechsel haben wir die erste von insgesamt sechs Bauetappen abgeschlossen: 240 Wohnungen wurden gebaut und mehrere 1000 Quadratmeter Gewerbefläche geschaffen – das entspricht etwa einem Viertel der gesamten Arealentwicklung. Aktuell befindet sich die zweite Etappe im Bau, zu der unter anderem zwei weitere Wohnhochhäuser und eine Kita gehören. Kürzlich durften wir ausserdem den Spatenstich zur dritten Bauetappe feiern, die wir gerne als «Gewerbeetappe» bezeichnen, im Zuge derer aber auch noch einmal 60 Wohnungen gebaut werden.
Während die Neubauten emporwachsen, sanieren wir gleichzeitig vorzu die denkmalgeschützten Bestandsbauten auf dem Gelände. Zum Beispiel entstehen im Kesselhaus, das früher die Energieversorgung der Fabrikanlage beherbergte, Räumlichkeiten für Gastronomie, Büros und allenfalls Co-Working. Schlussendlich wird das Quartier zu einem Drittel aus historischen Bauten bestehen. Ich empfinde das als einen besonderen Wert, weil es dem Quartier eine starke Identität verleiht. Natürlich bringt das aber auch Herausforderungen mit sich, denn geschichtsträchtige Bauten erfordern viel Fingerspitzengefühl und kluge Kompromisse: Einerseits müssen sie energetisch ertüchtigt werden, andererseits soll ihr Denkmalwert nicht darunter leiden. Glücklicherweise können wir dabei von einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege profitieren.
Noch ist das Areal also eine Baustelle. Trotzdem lebt der zentrale Papieri-Platz zwischen einem neuen Wohnhochhaus von Huggenbergerfries Architekten und dem Kesselhaus bereits auf: Kinder toben an Spielgeräten, das erste Grün spriesst, und auf dem Platz finden Veranstaltungen wie ein Flohmarkt statt.
Dieser Anblick freut uns alle riesig. Wir sind stolz, dass alle Wohn- und Gewerbeflächen bereits vermietet beziehungsweise verkauft sind. Leerstand gibt es nicht, und Hunderte Menschen nutzen das Areal bereits.
Wir wünschen uns ein durchmischtes Stadtquartier. Die Papieri soll ein Teil von Cham werden und eng mit der bestehenden Gemeinde verbunden sein. Was wir nicht möchten, ist eine sterile «Überbauung», die nicht auf den Kontext reagiert. Die Chamer sollen gerne ins neue Quartier kommen und es rege mitbenutzen. Wir tun viel dafür, dass diese Vision Realität wird: Die Bauten werden von verschiedenen Architekten entworfen. So vermeiden wir Monotonie, und es entsteht der Eindruck eines gewachsenen Stücks Stadt. Ein Weg für den Langsamverkehr entlang einer ehemaligen Bahntrasse verbindet das Papieri-Areal mit dem Chamer Zentrum. Die Räumlichkeiten in den Erdgeschossen der Neubauten verkaufen wir nicht, um langfristig einen attraktiven Nutzungsmix garantieren zu können. Auch das Kulturleben holen wir ins Quartier: Das alte Lagerhaus haben wir der Gemeinde überlassen, es wird nun von einer Kampfkunstschule und der IG Langhuus genutzt, die ein buntes Programm vom «Repair-Café» über Ausstellungen und Lesungen bis hin zum Flohmarkt auf die Beine gestellt hat. Und im historischen Kalanderbau haben bereits Konzerte und Kunstausstellungen stattgefunden. Schliesslich wird ein Teil der Wohnungen zur Kostenmiete vergeben, um die soziale Durchmischung der Bewohnerschaft sicherzustellen.
Neben der sozialen Nachhaltigkeit spielt auch die ökologische eine grosse Rolle bei der Neugestaltung des Areals. Unter anderem wird das Quartier den Richtlinien der 2000-Watt-Gesellschaft genügen.
Auch als Investor kommt man heute am Thema ökologische Nachhaltigkeit nicht mehr vorbei. Man kann den Klimaschutz bei einer Arealentwicklung nicht mehr ausklammern – das wäre verantwortungslos. Die Frage ist nicht länger, ob man nachhaltig baut, sondern wie man es besonders gut macht. Dazu gibt es verschiedene Ansätze und sicher keine Pauschallösungen. Wir haben unseren Hauptfokus auf das Thema Energie gelegt.
Was bedeutet das konkret?
Im Bereich der elektrischen Energie streben wir einen hohen Autarkiegrad an: 40 Prozent des Stroms erzeugen wir auf dem Gelände. Das gelingt durch ein Laufwasserkraftwerk, das wir Ende vorigen Jahres in Betrieb genommen haben, PV-Anlagen, die wir laufend ergänzen, und Erdsonden beziehungsweise Wärmepumpen, die wir zum Heizen und Kühlen einsetzen.
Wenn das Quartier dereinst fertig ist, muss der Strom an 1000 Wohnungen und 1000 Arbeitsplätze verteilt werden. Dazu bauen wir ein eigenes intelligentes Netz auf, was uns quasi zu einem lokalen Energieversorger macht und zu einem der grössten Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch (ZEV) des Landes.
Warum sage ich intelligent? Die Kunst besteht darin, Leistungsspitzen zu vermeiden. Wir schaffen eine umfangreiche Ladeinfrastruktur für Elektroautos auf dem Areal zu der auch zwei Schnelllader gehören. Werden diese benutzt, während die Wärmepumpen laufen und die Bewohnenden viele Verbraucher angeschlossen haben, entstehen ungünstige Spitzen. Unser System kann solche Situationen erkennen und automatisch Gegensteuer geben: Verbraucher, bei denen das ohne Komforteinbussen möglich ist, werden in einem solchen Fall gezielt heruntergefahren. So können zum Beispiel die Wärmepumpen temporär heruntergeregelt werden, ohne dass den Nutzern dies negativ auffallen würde.
Wie reagieren Sie, wenn der Energiebedarf steigt, etwa weil mehr Bewohnende ein Elektroauto besitzen?
Wir können bei den PV-Anlagen noch nachrüsten, doch das wird nicht reichen. Wir müssen also, das möchte ich nicht schönreden, Strom von aussen zukaufen – das ist übrigens auch heute nötig.
Mittelfristig wäre wünschenswert, über effiziente Speicher zu verfügen. Dann wären wir insbesondere während der Sommermonate nicht gezwungen, Strom ins öffentliche Netz zurückzuspeisen und könnten Phasen mit besonders hohem Energiebedarf besser meistern. Allerdings mangelt es in diesem Bereich noch an erprobten technischen Lösungen. Vielleicht können in der Zukunft Elektrofahrzeuge als Speichermedien eingesetzt werden. Doch auch hier besteht noch technischer Entwicklungsbedarf. Zudem gibt es noch kein ökonomisches Modell für ein solches System. Was hätte man zum Beispiel davon, seinen Wagen als Speicher zur Verfügung zu stellen? Ich sehe viele offene Frage, die noch zu klären sind.
Lassen Sie uns noch einmal zum Thema der ökologischen Nachhaltigkeit zurückkehren: Das Klimabewusstsein grosser Teile der Bevölkerung wächst zweifelsohne. Verändert das den Markt? Werden Wohnungen und Gewerbeflächen in zukunftsfähigen Überbauungen verstärkt nachgefragt?
Das kann man so pauschal nicht beantworten. In Cham zum Beispiel ist Wohnraum knapp, sodass die Verfügbarkeit für die meisten Menschen prioritär ist. Anders sieht es hingegen bei den Gewerbeflächen aus: In diesem Bereich sehen wir im Kanton Zug einen erheblichen Leerstand, also müssen wir uns als Anbieter differenzieren. Hier kommt das Thema Nachhaltigkeit in den Gesprächen mit potenziellen Mietern mittlerweile sehr früh auf den Tisch. Verlässliche Nebenkosten und eine zuverlässige, grüne Energieversorgung, die unabhängig von internationalen politischen Verwerfungen funktioniert, erweisen sich dabei als besonders überzeugende Argumente.
Allerdings geht es in solchen Gesprächen längst nicht nur um ökologische Themen, sondern auch um soziale Aspekte: Gibt es ein zeitgemässes Mobilitätskonzept? Werden sich meine Mitarbeitenden wohlfühlen? Wie können sie ihre Mittagspause verbringen, gibt es attraktive gastronomische Angebote? Sind Möglichkeiten vorhanden, Sport zu treiben?
Sie sprechen die Mobilität bereits an – wie sieht Ihr Mobilitätskonzept für das Papieri-Areal denn aus?
Wir denken verschiedene Verkehrsmittel zusammen, statt sie in Konkurrenz zueinander zu bringen. Darum verfügt das Quartier sowohl über eine gute Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz und ein Sharing-System mit Elektroautos und E-Bikes, das wir gemeinsam mit allride, einem Venture der AMAG Gruppe aufgebaut haben, als auch über ausreichend Parkplätze. Letztere sind vorwiegend im Untergrund angeordnet, damit sie die Aussenraumgestaltung nicht beeinträchtigen und möglichst wenig wertvollen öffentlichen Raum kosten. Gewiss, es gibt auch oberirdische Parkplätze, allerdings nur, wo dies etwa für das Funktionieren der Gewerbenutzungen und für Besucher unerlässlich ist.
Selbstverständlich haben wir alle Parkplätze bereits mit E-Ladestationen ausgerüstet oder sie zumindest für die Installation vorbereitet. Es mag zwar noch Arealentwickler geben, die an der E-Mobilität zweifeln, doch in Anbetracht der politischen Weichenstellungen scheint es mir wenig sinnvoll, ja sogar fahrlässig, sich der neuen Technologie zu verschliessen.
Wichtig ist uns, die Hemmschwelle für die Nutzung umweltfreundlicher Verkehrsmittel möglichst stark zu senken. Deswegen beabsichtigen wir etwa eine Bushaltestelle in Absprache mit der Gemeinde um 120 Meter zu verschieben, sodass die Quartierbewohner weniger weit laufen müssen. Grosszügige Veloabstellplätze haben wir in den Erdgeschossen platziert, zum Beispiel prominent am Papieri-Platz, statt sie unterirdisch anzuordnen, was weit weniger bequem wäre. Und die Autos und Fahrräder von allride können über eine benutzerfreundliche App gemietet werden. Wir werden die E-Bikes und Elektroautos unseres Sharing-Programms strategisch über das ganze Quartier verteilen. Sie sollen von überall schnell und am besten trockenen Fusses erreichbar sein.
Daniel Sauter, ein auf Mobilitäts- und Verkehrsthemen spezialisierter Soziologe, sagte dem TCS kürzlich in einem Interview, unter jungen Erwachsenen sei das Auto kein Statussymbol mehr. Zugleich lässt sich im Alltag beobachten, dass luxuriöse, gerne auch laute und sportliche Autos für viele Menschen nach wie vor ein geliebtes Hobby sind. Dieser Personenkreis wird gerne ignoriert, doch er dürfte für das Teilen von Autos, zumal von kleineren E-Fahrzeugen, schwer zu gewinnen sein. Wie bewerten Sie das Potenzial von Sharing-Lösungen?
Zunächst einmal halte ich wenig von einem Entweder-oder-Denken. Lieber ist mir, gute Angebote zu unterbreiten und den Menschen die Wahlfreiheit zu lassen. Um Ihre Frage zu beantworten, muss man zunächst den Standort betrachten: Anders als etwa in Zürich oder Bern ist es im Raum Cham in vielen Fällen schwierig, ganz auf das Auto zu verzichten. Sharing ist hier eine sinnvolle Ergänzung: Auf diese Weise ermöglichen wir Haushalten, sich das Zweitauto zu ersparen, was in unserer Region ansonsten eine Realität ist. Und auch für Personen, die für gewöhnlich mit dem Velo oder den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind, kann es angenehm sein, in Ausnahmefällen auf einen Wagen zurückgreifen zu können. Kurzum, ich erwarte, dass Sharing sich als wichtige Säule der Mobilität etablieren kann. Die Frage ist, in welchem Umfang entsprechende Angebote genutzt werden. Das hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem eben wesentlich vom lokalen Kontext.
Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass unser Sharing-System nicht exklusiv für das Papieri-Areal ist – auch Menschen aus der Umgebung können mitmachen. Das ist ökologisch, sozial und wirtschaftlich sinnvoll und trägt zur Vernetzung von Gemeinde und Quartier bei, die wir uns so sehr wünschen.
Wie werden die Autos von allride bisher angenommen?
Ich bin positiv überrascht – doch noch nicht zufrieden. Wir haben aktuell drei VW ID.3 im Einsatz, zukünftig soll unsere Flotte aber noch wachsen. Erfreulicherweise sind die Autos zuweilen sogar komplett ausgebucht. Ich selbst habe mein Büro in der unmittelbaren Nachbarschaft und nutze die Fahrzeuge von Zeit zu Zeit.
allride auf dem Papieri Areal
Mobilität – neu gedacht. Dafür steht allride, ein Venture der AMAG Gruppe, das einen einfachen Zugang zu nachhaltiger und geteilter Elektromobilität ermöglicht. Das Unternehmen bietet für Überbauungen und Unternehmen alle Arten von Fahrmöglichkeiten an, wobei der Dreh- und Angelpunkt die allride-App ist, die einen niederschwelligen Zugang zu den Fahrzeugen bietet.
Seit Oktober 2022 ist allride auf dem Papieri-Areal in Cham als Teil des Mobilitätskonzepts präsent und stellt den Bewohnenden drei Elektroautos des Typs VW ID.3, drei E-Velos und ein E-Cargo-Bike zur Verfügung. Die Fahrzeuge können spontan gebucht oder aber auch im Voraus reserviert werden. Ein physischer Schlüssel oder eine Schlüsselkarte werden nicht benötigt. Das Angebot kommt gut an, steigt doch die Nachfrage monatlich, wie Arjan Vlaskamp, Head of MaaS Plattform allride bei der AMAG Corporate Services AG, sagt.
Für die bisher erstellen Bauetappen auf dem Papieri-Areal reichen die gegenwärtigen Fahrzeuge aus. Im Zuge der weiteren Bauetappen klären allride und die Cham Group gemeinsam ab, ob und wie das Angebot für die Bewohnerinnen und Bewohner weiterentwickelt und optimiert werden soll.
Warum haben Sie sich für die Zusammenarbeit mit allride entschieden?
In der Schweiz gibt es verschiedene etablierte Anbieter von Sharing-Lösungen, die wir natürlich in Betracht gezogen haben. Doch allride überzeugte uns als frisches Unternehmen, das uns zuhört und ein starkes Interesse daran hat, gemeinsam etwas Neues zu entwickeln, statt es sich einfach zu machen und erprobte Lösungen überzustülpen. So analysieren wir zum Beispiel zusammen Daten zur Nutzung und arbeiten auf dieser Basis an der Verbesserung des Angebots. Vielleicht werden wir etwa bald zu der Überzeugung gelangen, dass es weitere Fahrzeugtypen unterschiedlicher Grösse braucht – wie bei den E-Bikes, wo unsere Flotte bereits aus gewöhnlichen Fahrrädern und Lastenvelos besteht. Es ist wichtig, einen gemeinsamen Lernprozess zu durchlaufen.
Thomas Aebischer führt seit Juli 2022 als CEO die Cham Group AG und leitet die Entwicklung des Papieri-Areals hin zu einem belebten Quartier von Cham. In früheren Stationen war er Geschäftsführer des Immobilienbereichs der Knecht Gruppe, baute für die Bühler Group als Head Corporate Technology India eine lokale Entwicklungseinheit in Bangalore auf und lenkte als CEO die auf Dünnschichttechnologie spezialisierte Argor-Aljba SA in Mendrisio. Thomas Aebischer ist Ingenieur und hat an der ETH Zürich abgeschlossen.