Frau Plümper, Herr Houriet, wir wollen heute über die Schnittstellen zwischen Wohnort, Auto und öffentlichem Verkehr reden. Als grosse Immobilieneigentümerin und -bewirtschafterin ist die SBB mit den neuen Parkplatz- und Ladeanforderungen in den eigenen Gebäuden gefordert, zugleich aber auch an der Vermittlungsstelle zwischen Auto und Schiene, also zum Beispiel bei P+Rail-Standorten an Bahnhöfen. Wie verändert das Thema der E-Mobilität Ihre Arbeit bei SBB Immobilien?
Julia Plümper: Ich engagiere mich seit drei Jahren bei der SBB für den Aufbau der E-Ladeinfrastruktur. Wir spüren, dass sie in allen Bereichen wichtiger wird und wir wollen unseren Kund*innen gute Lösungen zur Verfügung stellen. Angefangen haben wir 2020 mit der Elektrifizierung der Mobility -Parkplätze. Im Jahr drauf haben wir mit dem Ausbau der Ladeinfrastruktur für unsere interne Flotte, die 2400 Fahrzeuge an ca. 200 Standorten in der gesamten Schweiz umfasst, begonnen. Nun erarbeiten wir ein Konzept für die Ladeinfrastruktur unserer Anlageobjekte (z.B. Mietwohnungen oder Geschäftsliegenschaften) und bereiten dafür eine Ausschreibung vor.
Adrian Houriet: Ich war 2015/2016 dafür zuständig, den SwissPass in das System der Ladestationen einzubinden. Damals war noch die Frage, ob sich das System überhaupt durchsetzen wird – also eine ganz andere Ausgangslage als heute. Aktuell sind wir über den Prognosen zu den E-Fahrzeugen, denn es wurden mehr Fahrzeuge als erwartet verkauft – die Ladeinfrastruktur konnte jedoch nicht gleich schnell mitwachsen. Das ist suboptimal für unsere Kundschaft.
Als Anbieterin für den öffentlichen Fernverkehr ist die SBB auch in die sogenannte erste und letzte Meile involviert. Einen Widerspruch zwischen Auto und Bahn spürt man heute kaum noch, das eine dient vielmehr dem anderen. Wie empfinden Sie das?
Adrian Houriet: Auto und Zug sind für mich «Freunde». Als der ADAC im April 2022 die Menschen dazu aufrief, vermehrt den öffentlichen Verkehr zu nutzen, war das ein klares Zeichen, auch von der Autobranche, dass die beiden Welten immer mehr zusammenkommen. Es gibt heute nicht mehr die klaren Auto- oder ÖV-Nutzer. Die Menschen wählen ihre Reisemittel vielmehr je nach Strecke und Rahmenbedingungen aus. Auch wir betrachten das Auto als optimale Ergänzung für periphere Regionen oder bei Randzeiten. Am Knotenpunkt Bahnhof unterstützen wir Kundinnen und Kunden, die möglichst klimaschonend unterwegs sein möchten und daher auf E-Mobilität setzen, mit der E-Ladeinfrastruktur. Sowohl von der Automobilseite her, aber auch von uns aus besteht das Interesse, gemeinsam Projekte für den kombinierten Verkehr voranzutreiben.
Julia Plümper: Ja, einzelne Standorte haben wir schon mit E-Ladestationen ausgerüstet. Wir werden den Bereich P+Rail langsam ausbauen. In Pilotprojekten hat sich gezeigt, dass die Umrüstungen nicht überall wirtschaftlich sind. Kommen typische Pendlerinnen und Pendler morgens und parken den ganzen Tag, ist die E-Ladestation nicht gut ausgelastet. Auch aus der Kundenperspektive wird es nicht an jedem P+Rail-Standort E-Ladestationen brauchen, denn Laden wird primär am Wohnort stattfinden. Viele fordern mehr öffentliche Ladestationen, gleichzeitig jedoch wird die Reichweite der Fahrzeuge immer grösser.
Adrian Houriet: Ich bin beispielsweise in einer Arbeitsgruppe zum Thema Laden am Point of interest also zum Beispiel bei grossen Einkaufszentren oder an Bahnhöfen. Hier sind alle Detailhändler involviert, bei denen die durchschnittliche Parkdauer etwa ein bis zwei Stunden beträgt. Das Parkverhalten unserer Kundinnen und Kunden ist anders, bei unseren P+Rail-Standorten wird sechs oder sieben Stunden geparkt.
Als eine der grössten Immobilienbesitzerinnen in der Schweiz haben die SBB zahlreiche Immobilien an Bestlagen. Areale von Heute für ein Morgen entwickeln, das man noch gar nicht kennt, ist jedoch keine einfache Aufgabe. Hat die Forderung nach E-Mobilität Ihre Arbeit in Projekten grundlegend verändert?
Julia Plümper: Überall, wo gebaut wird, beschäftigen wir uns mittlerweile auch mit der E-Mobilität. Bis vor zwei Jahren haben wir jeweils zehn Prozent der Parkplätze mit E-Lademöglichkeiten ausgestattet. Mittlerweile haben wir unsere Baustandards entsprechend der Empfehlung SIA 2060 angepasst. Danach wird nun gebaut und so schreiben wir Architekturwettbewerbe aus.
Für die Zukunftsfähigkeit ist es entscheidend, jeweils auch den Netzanschluss der Gebäude gross genug zu dimensionieren. Wir planen die Anschlüsse jetzt schon auf 100 %, also so, dass in Zukunft alle Parkplätze E-Ladestationen bieten könnten.
Wie verkaufsentscheidend ist es, Ladeinfrastruktur anzubieten?
Julia Plümper: Es ist wichtig, das spüren wir immer mehr. Gewerbliche Mietverträge werden meist ein bis zwei Jahre vor Fertigstellung der Gebäude abgeschlossen. Viele Firmen fordern einen gewissen Anteil an Lademöglichkeiten. Auf dem Wohnungsmarkt merken wir es später, weil Mieterinnen und Mieter zu einem späteren Zeitpunkt zum Projekt kommen. Generell bei allen Projekten ist das Lastmanagement an allen Standorten wichtig und entscheidend.
Damit orientiert sich die SBB klar am Gedanken, dass der mobile Individualverkehr auch zukünftig einen gewissen Stellenwert hat und das private Auto ein Bestandteil unserer Kultur bleiben wird.
Adrian Houriet: Ich denke, dass es immer ein Zusammenspiel geben wird aus individuellen Fahrzeugen und öffentlichen Verkehrsmitteln. Dennoch werden räumliche Probleme nicht mit E-Mobilität gelöst werden, denn ein E-Fahrzeug braucht genauso viel Platz wie ein klassisches Auto mit Verbrennungsmotor. Unser Ziel ist, Kundinnen und Kunden das Angebot zu zeigen – bestenfalls das ganze Mobilitätsangebot digital buchbar – und ihnen die Wahl zu lassen.
Julia Plümper: Es wird sicher neue Mobilitätsformen geben, vielleicht wird auch der Sektor des Car-Sharings weiterwachsen. Aber ganz weg vom Auto werden wir meiner Meinung nach nicht kommen. Wir glauben daran, dass die E-Mobilität für die breite Masse die Mobilität der Zukunft sein wird. Teilweise bauen wir aber auch Projekte ganz ohne Parkplätze, das kommt auf den Standort und die erwartete Mieterschaft an.
Worin sehen Sie die Fallstricke, wo liegen die Schwierigkeiten und Herausforderungen bei den aktuellen Ausbauprojekten?
Adrian Houriet: Eine Herausforderung ist abzuschätzen, ob das Besitzen eines Autos ein Modell der Zukunft für die breite Masse ist. Grundsätzlich sehe ich im Teilen von Fahrzeugen grosses Potenzial, gerade in Ballungsräumen mit vielen Menschen. Wie viele Parkplätze brauchen wir dann noch im Wohnumfeld, wie viele in den Städten – und wie müssen wir diese ausrüsten? Zwei Jahre nach Ausbruch der Corona-Pandemie ist das Mobilitätsverhalten der Menschen ganz anders als noch 2019 – viel weniger pendeln zur Arbeit, zugleich ist der emissionsarme Freizeitverkehr stark gewachsen.
Julia Plümper: Da wir sehr viele Vorhaben schweizweit betreuen, müssen wir die Projekte priorisieren und kommen nicht überall so schnell voran, wie wir es gern würden. Für die Anlageobjekte machen wir zum Beispiel gerade eine Ausschreibung, in der wir einen Betreiber für die Abrechnung und das Management einer einheitlichen Ladelösung suchen.
Adrian Houriet: Das Thema der Datenverwaltung halte ich auch für sehr wichtig. Heute köchelt jeder sein eigenes Süppchen. Wir müssen aber zum Beispiel den Parkplatz-Suchverkehr optimieren, gemeinsam mit den Städten und den Parkplatz-Betreibern. Mobilitätsformen leben stets davon, dass sie für Kundinnen und Kunden einfach und verständlich zu nutzen sind. Auch klare Aussagen zu den Preisen sind wichtig, und das ist heute noch nicht überall der Fall. Hier müssen wir uns Kooperationspartner suchen und gemeinsam Lösungen finden.
Zudem ist Mobilität auch immer eine Gewohnheit. In der kombinierten Mobilität wachsen die Unsicherheiten: Finde ich einen Parkplatz? Ist der Zug pünktlich? Stehe ich im Stau? Das Zuverlässige und die einfache Nutzbarkeit haben wir uns auf die Fahne geschrieben als SBB. Das erwarten Kundinnen und Kunden von uns und dürfen sie auch erwarten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Julia Plümper ist studierte Wirtschaftsingenieurin und leitet Projekte im Bereich E-Infrastruktur bei den Schweizerischen Bundesbahnen.
Adrian Houriet ist Projektleiter im Bereich Erste Letze Meile bei den Schweizerischen Bundesbahnen im Markt Personenverkehr.