Wohnhausanlage Breitenfurterstraße 59-79
Wien, Itävalta
- arkkitehdit
- P.GOOD Praschl-Goodarzi Architekten ZT GmbH
- Location
- Breitenfurterstrasse 59-79, 1120 Wien, Itävalta
- Year
- 2021
Ein Wohnbau als Begegnungszone
Ein Wohnbau an der Breitenfurterstraße für die Bauträger GEWOG fügt einen hohen, städtischen Bauteil und einen niedrigen gartenseitigen Bauteil zu einem passgenauen Baustein für ein Quartier im Wandel zusammen. Ein Wohnbau, der trotz hoher Dichte eine Vielfalt von privaten und halbprivaten Räumen bietet, der dank kluger Höhenstaffelung und Grundrissorganisation Ruhe und Ausblick maximiert. Ein städtischer Wohnbau mit einer dörflich-mediterranen Fußgängerzone als Herzstück, die nachbarschaftliche Begegnungen und lebendiges Zusammenleben ermöglicht.
Die Breitenfurter Straße im Wiener Süden ist nicht nur eine der längsten Straßen der Stadt, sie ist auch eine, die zurzeit ihr Gesicht so stark verändert wie kaum eine andere. Wo bis vor kurzem noch eingeschossige Vorstadthäuser, Autowerkstätten und Brachland dahindämmerten, entstehen neue Wohnbauten und Wohnviertel, neue städtische Mischungen und Nachbarschaften.
Nachdem das Grundstück zum Wohnbau mit hoher Dichte umgewidmet wurde, stellte sich im Wettbewerb die Frage, wie ein städtischer Baustein dieser Dimension auf dieses heterogene Umfeld reagieren kann. Keine leichte Aufgabe. Noch dazu fällt das Grundstück parallel zur Breitenfurter Straße um 3,5 Meter ab. Der Entwurf von P.GOOD Praschl-Goodarzi Architekten ZT-GmbH, der im vom Bauträger GEWOG ausgelobten Wettbewerb siegreich war, fand eine so einfache wie komplexe Lösung für dieses Problem.
„Die Widmung sah eine nahezu vollflächige Bebauung vor. Eine wesentliche Herausforderung war also, hier für ausreichende Belichtung zu sorgen,“ erinnert sich Architekt Martin Praschl. „Uns war schnell klar, dass die Wohnungen so viel wie möglich von den Qualitäten der benachbarten Gartensiedlung profitieren sollten. Gleichzeitig wollten wir eine Laubengang-Erschließung entlang der Breitenfurter Straße vermeiden, denn das hätte bedeutet, dass wir vor dem Straßenraum kapitulieren – eine sehr un-städtische Geste.“
Die Lösung ist eine Art typologischer Aufdopplung: Ein hoher Wohnriegel zur Breitenfurter Straße, parallel dazu ein niedriger, aufgelockerter zum Hof, dazwischen eine Fuge. Dies löst den gordischen Knoten mit müheloser Leichtigkeit. Ein Baukörper gehört zur Straße, der andere zum Garten, beide gehören zusammen. Nahezu alle Wohnungen sind in Richtung Grün und Ruhe orientiert, die Fuge dazwischen fungiert als Fußgänger- und Begegnungszone für die Bewohner.
Insgesamt 123 Wohneinheiten wurden hier errichtet, davon 117 mit Blick Richtung Garten oder Fußgängerzone. Die Aufteilung in 88 Miet- und 35 Eigentumswohnungen ist von außen nicht ablesbar, sondern durchmischt, auch dies ein Symbol für gute Nachbarschaft ohne vorgestanzte soziale Unterschiede. Im höheren Bauteil sind Geschosswohnungen mit großzügigen Balkonen und Terrassen untergebracht, im niedrigeren Bauteil Maisonetten mit Gärten und Dachterrassen. Letzterer ist zur Begegnungszone hin leicht geneigt, was für zusätzliche Belichtung der dahinterliegenden Wohnungen und Freiräume sorgt. Die eingeschnittenen Dachterrassen sorgen für zusätzliche Ausblicke der Wohnungen in „zweiter Reihe“ und teilen die gartenseitige Wohnzeile in reihenhausartige Abschnitte, die mit den benachbarten Siedlungshäusern eine typologische Einheit bilden und die vierte Seite des Hofs harmonisch abschließen. Ein gebautes Ideal der Kommunikation und Verständigung, sowohl auf städtebaulicher als auch auf wohnlich-nachbarschaftlicher Ebene.
Die Staffelung der Baukörper in Querrichtung und der Höhenunterschied des Geländes in Längsrichtung resultieren in einer so komplexen wie logischen, quartiersartigen Erschließung. Drei Stiegenhäuser an der Breitenfurter Straße dienen als Haupteingänge und Adressbildung, sie sind im Inneren durch drei unterschiedliche großformatige und farbige Blumenmotive differenziert. Von hier werden die Geschosswohnungen im höheren Bauteilerschlossen, mit natürlich belichteten Kinderwagenabstellräumen in den oberen Geschossen als wichtigem Alltagszubehör. Über kurze Quergänge gelangt man zur Begegnungszone in der Mitte, die den Höhenunterschied mit einer Reihe kleiner Abstufungen nachverfolgt, die in ihrer organischen Selbstverständlichkeit an eine mediterrane Dorfstraße erinnern. Hier sind die Eingänge zu den oberen Maisonetten als kleine halbprivate Nischen ausgebildet, die zur Aneignung und Kommunikation dienen.
Ein Teil der Maisonetten im mittleren Bereich wird über eine verglaste Brücke vom höheren Bauteil aus erschlossen, die weitere visuelle Querbeziehungen schafft. Eine breite Stiege, die zwischen den Maisonetten durchtaucht, verbindet die Begegnungszone mit dem niedrigeren hofseitigen Spielplatz, der auch direkt von der Schneiderhangasse zugänglich ist. Von dort führt ein Fußweg an der Grundgrenze entlang, der auch einen Teil der Maisonetten direkt vom Vorgarten aus erschließt.
Fünf Geschäftslokale und ein großer Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss an der Breitenfurter Straße verstärken die Schnittstellen zwischen belebter Stadt und ruhigem
Wohnen und multiplizieren die Begegnungsmöglichkeiten. So ergibt sich eine Vielfalt räumlicher Abstufungen zwischen öffentlich und privat. „Gerade wenn man ein neues Quartier entstehen lassen will wie hier, braucht es gute und hochwertige Straßenräume“, betont Azita Praschl‐Goodarzi. „Unser Gebäude dient als individueller Lebensraum für die Bewohner, und ebenso als wichtiger Baustein für die Stadt.“
In Zeiten der steigenden Grundstückspreise und der explodierenden Baukosten ist der leistbare Wohnbau unter enormem Kostendruck. Oft geht dies in der Realisierung zulasten der baulichen Details und der Materialien. Dies konnte hier durch das Engagement der Architekten vermieden werden. Die Fassade und die geneigten Dachflächen des hofseitigen Bauteils wurden mit Aluminium‐Schindeln verkleidet, was ihm einen zusätzlichen individuellen Charakter verleiht und einen Dialog mit dem in warmen Erdfarben gehaltenen höheren Bauteil eröffnet.
„Wir finden es wichtig, trotz des Kostendrucks im Wohnbau Fassadenlösungen zu finden, die über den reinen Vollwärmeschutz hinausgehen“, so Martin Praschl. Gerade der Übergang von Dach und Fassade biete sich dafür an. „Diese Differenzierungen erleichtern mit visuellen, haptischen und akustischen Signalen auch die Orientierung in einem komplex verdichteten Stück Stadt“, betont Azita Praschl‐Goodarzi, und das Material Metallschindeln trägt aufgrund seiner Wiederverwertbarkeit zur Nachhaltigkeit bei.
Die Übergabe der Wohnungen erfolgte im Mai 2021. Auch die Architekten sind gespannt darauf, wie sich die Bewohner die vielfältigen Räume aneignen werden. „Uns ist der Aspekt des Zusammenlebens wichtiger als der gestalterische Purismus“, sagt Azita Praschl‐Goodarzi. „Wir haben nichts dagegen, wenn sich der Individualismus der Bewohner zeigt. Das kann und muss die Architektur im Wohnbau aushalten.“ Insbesondere das räumliche Gegenüber an der Nahtstelle der zentralen Begegnungszone wird sich als Indikator der neuen Nachbarschaften erweisen. Die Bühne für das Zusammenleben ist bereit.
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